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Rotwild in Grafenwöhr – Willkommen im Offenland

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Zwischen 2008 und 2010 erforschten Wissenschaftler aus Dresden und Göttingen die Raumnutzung des Rotwilds auf dem Oberpfälzer Truppenübungsplatz. Herausgekommen sind grundlegende Erkenntnisse für einen neuen Umgang mit der größten heimischen Schalenwildart.

„Die vielleicht wichtigste Schlussfolgerung aus unserer Studie ist, dass wir Rotwild auf kleineren Flächen gezielter beeinflussen können, als wir bislang dachten“, sagt Prof. Sven Herzog von der Technischen Universität (TU) Dresden. „Daraus ergeben sich ganz neue Perspektiven zum Umgang mit dem Rotwild.“ Gemeinsam mit Marcus Meißner vom Institut für Wildbiologie Göttingen und Dresden sowie Horst Reinecke von der Universität Göttingen hat der Wissenschaftler drei Jahre lang mittels Telemetrie das Rotwild auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr erforscht.

 


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Der Truppenübungsplatz Grafenwöhr ist für seine starken Hirsche und sein tagaktives Wild bekannt. Offenlandflächen sind vor allem im Frühjahr und zur herbstlichen Brunft von großer Bedeutung für die Rudel. (Foto: Heiko Arjes)
Grafenwöhr ist in Jagdkreisen weit und gut bekannt. Der rund 24 000 Hektar große US-Truppenübungsplatz in der Oberpfalz gilt als Rotwildparadies oder „Himmel der Hirsche“, wie ihn eine Wochenzeitung einmal titulierte. Denn während dort einerseits lärm- und emissionsmindernde Schutzwälder erhalten und verjüngt werden müssen, hat andererseits das Rotwild nicht nur einen idealen Lebensraum, sondern sogar eine Aufgabe: „Seine Fraßaktivität ist ein bedeutender gestalterischer Faktor in der Entwicklung des Offenlandes“, so der Leiter des Bundesforstbetriebs Grafenwöhr, Ulrich Maushake. „Sein Nahrungserwerb verlangsamt die Wiederbewaldung, leistet so einen Beitrag zur militärischen Nutzbarkeit des Geländes und fördert den Erhalt und die Entwicklung von Offenland-Lebensgemeinschaften.“
Jäger besuchen Grafenwöhr nicht nur wegen starker Hirsche, sondern auch, weil sie das Wild hier bei bestem Licht in Anblick bekommen. Die Brunft findet auf weiten Offenlandflächen statt, wo sich dann durchaus einmal hundert oder mehr Stücke versammeln. Über die außergewöhnlichen Jagdmöglichkeiten berichtete WILD UND HUND in Ausgabe 12/2010.
Auch die Göttinger und Dresdener Wissenschaftler wussten die besonderen Gegebenheiten des „nahezu idealen Rotwildlebensraums“ zu schätzen: „Es war für uns die einmalige Gelegenheit, Rotwild unter Bedingungen zu untersuchen, die die klassischen Störfaktoren der Zivilisationslandschaft ausschließen“, so der Tharandter Lehrstuhlinhaber für Wildbiologie und Jagdwissenschaften, Prof. Herzog. Herausgekommen ist ein Bericht, der sich in seinen grundlegenden Darstellungen und Erkenntnissen durch eine Besonderheit auszeichnet: Er regt immer wieder zum Nach- und Neudenken an, was den richtigen Umgang mit dem Rotwild angeht. Sein Titel: „Vom Wald ins Offenland – Der Rothirsch auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr“.
Zwischen 2008 und 2010 wurden im Zuge der Studie 29 Stück Rotwild mit GPSHalsbändern besendert. Erfasst wurde jeweils ihre Position und ihre Aktivität. 17 der Stücke lieferten Daten über mehr als ein Jahr hinweg. Die Auswertung wirft Schlaglichter vor allem auf die Raumnutzung sowie die geschlechtsspezifischen und individuellen Verhaltensweisen dieser Wildart.
Zwischen 2008 und 2010 wurden im Zuge der Studie 29 Stück Rotwild mit GPSHalsbändern besendert. Erfasst wurde jeweils ihre Position und ihre Aktivität. 17 der Stücke lieferten Daten über mehr als ein Jahr hinweg. Die Auswertung wirft Schlaglichter vor allem auf die Raumnutzung sowie die geschlechtsspezifischen und individuellen Verhaltensweisen dieser Wildart.

 


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Horst Reinecke peilt besendertes Rotwild. (Foto: Marcus Meißner)
Wichtigstes Ergebnis aus dem Datenberg: Die Größe der Streifgebiete wird gemeinhin überschätzt. Herzog, Reinecke und Meißner erfassten als mittleren Wert der Alttiere in Grafenwöhr 213 Hektar, bei den Hirschen waren es 716. Diese Flächen umfassen 95 Prozent der Aufenthaltsdaten der besenderten Stücke. „Wir haben erstmalig für Rotwild in Deutschland eine Auswertungsmethode benutzt, die ziemlich genau die im Jahresverlauf tatsächlich genutzte Fläche erfasst“, erläutert Herzog. „Flächen, die nicht genutzt wurden oder definitiv als Lebensraum ausfallen, wie Gewässer oder Siedlungen, gehen dabei nicht in die Berechnung ein.“
Die Hälfte der Rotwildortungen umfassten sogar noch sehr viel kleinere Areale, nämlich 34 Hektar bei den Alttieren beziehungsweise 75 bei den Hirschen.
Auf einer Karte dargestellt, finden sich die Haupt-Aufenthaltsorte des Rotwildes als dicht gedrängte rote Punkte in einer ansonsten nur gering genutzten Landschaft. Welche Bedeutung hat das?
Die gemeinhin in der Wald-Wild-Diskussion verwendeten Zahlen zur Wilddichte, wie „vier Stück pro hundert Hektar“, stellen nach Ansicht der Wissenschaftler keine verwertbare Grundlage für ein angemessenes Rotwildmanagement dar. „Das Ausmaß von Schäden in der Forstwirtschaft wird weniger von der Höhe des Gesamtbestandes in einem Lebensraum als vielmehr von der ‚lokalen Dichte‘ bestimmt. Sie ist die letztendlich ökologisch wirksame Einflussgröße.“

Zweite wichtige Erkenntnis aus dem Grafenwöhr-Bericht: Alttiere sind die zentralen Akteure für kluges Rotwildmanagement. Unter anderem wird das beim Betrachten der Raumnutzung über die Jahre hinweg deutlich. Die Forscher konnten dem weiblichen Rotwild in Grafenwöhr eine große Standorttreue attestieren. „Die Streifgebiete deckten sich von Jahr zu Jahr zu 75 Prozent bei den Hirschen und zu 88 Prozent bei den Alttieren“, heißt es im Bericht. Betrachtet man die Ebene der Kernbereiche (Hälfte der Aufenthaltsortungen), liegt sie bei den Hirschen nur noch um die 50, bei den Alttieren hingegen immer noch bei 75 Prozent. Die Raumnutzung weiblicher Stücke ist also vor allem abhängig von Tradition und Familienzusammenhang. „Jedes Alttier verfügt über einen individuellen Erfahrungsschatz und besitzt genau erfassbare Raumnutzungsmuster“, schreiben die Wissenschaftler.

 


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Streifgebiet eines Alttieres. Links: Drei unterschiedliche wissenschaftliche Methoden, aus Ortungsdaten Streifgebiete zu ermitteln. In Grafenwöhr wurde die Methode LoCoH (Local-Convexx-Hull) angewendet. Rechts die jeweiligen Ergebnisse für 100 Prozent bis 10 Prozent der am nächsten zusammenliegenden Ortungspunkte (Home_Range-Level/ HRL). Die Flächen, die 50 Prozent der Ortungspunkte umfassen (dunkel orange), gelten als Habitatschwerpunkte. (Foto: Marcus Meißner)
Dazu zählt, dass sich einige Stücke deutlich aufs Offenland, andere stärker auf den Wald konzentrierten. „Einmal erworbene Nutzungsmuster haben unter stabilen Umweltbedingungen meist ein Leben lang Bestand“, halten die Forscher fest. Dieses Verhalten wird an die Nachkommen weitervermittelt und manifestiert sich so auch in den Folgegenerationen. Eine Veränderung dieses Verhaltens ist also nur generationenübergreifend möglich.
„Jagdliche Eingriffe in den Kahlwildbestand bieten somit die Chance, sowohl die forstwirtschaftlich wirksame lokale Dichte, vor allem aber auch die Lebensraumpräferenzen im Bestand effektiv zu beeinflussen“, lautet das Resümee. Ganz anders sieht es bei den Hirschen aus: Sie lassen sich bei ihrer Raumnutzung eher von der Suche nach Fortpflanzungspartnern und der Verfügbarkeit von Äsung leiten. Dadurch sind sie deutlich mobiler und flexibler als die Alttiere. Jagddruck erwies sich im Rahmen der Studie als gutes Mittel, die Geweihten aus einem Gebiet zu entfernen, gute Äsung und Ruhe hingegen als echter Magnet für die Hirsche.
Welche Erkenntnisse für das Jagdmanagement zogen die Wissenschaftler aus ihren Ergebnissen? „Eine rein quantitative Steuerung des Bestands reicht nicht aus und ist als alleiniges Instrument nicht zielführend“, lautet eine der wichtigsten Schlussfolgerungen. „Eine räumliche Verteilung des Abschusses entsprechend der regionalen forstwirtschaftlichen Zielsetzungen hat dagegen unmittelbar Auswirkungen auf die örtliche Nutzungsintensität der Waldvegetation.“ Mit den Worten von Sven Herzog: „Nicht allein die Abschusshöhe ist von Bedeutung, sondern die Frage, ob ich eine intelligente Verschneidung von Waldbau und Wildtiermanagement hin bekomme.“ Er sieht die bisherigen Vorgehensweisen kritisch: „Während der Waldbau immer differenziertere Ansätze entwickelt, glaubt man beim Wildmanagement oft, mit Konzepten aus den frühen 1970er Jahren auszukommen.“ Die Studie aus Grafenwöhr bietet Ansätze, das zu ändern.
vk

 

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