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Sie nannten ihn Bärenspieß: August von Spieß

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WILD UND HUND 19/2009

Schon zu Lebzeiten war der Hofjagddirektor des rumänischen Königs und Jagdschriftsteller eine Legende. In seinen Büchern lebt die ursprüngliche Jagd in den Karpaten Siebenbürgens fort. Das Erbe des großen Nimrods bewahrt ein Museum und seine Enkelin – GERT G. V. HARLING hat sie besucht.

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August v. Spieß (Ölgemälde von Hermann Konnerth, 1922)
Als kleiner Junge habe ich die Bücher „Im Zauber der Karpaten“ und „Karpatenhirsche“ von August v. Spieß gelesen, ja verschlungen. Mit hochroten Ohren las ich von den Wildbahnen in dem fernen rumänischen Gebirge, von der Jagd auf kapitale Hirsche und Bären, Gams und Hahnen, Adler und Wölfe. Solch ein Jäger wollte ich auch einmal werden. Für mich war Spieß eine nahezu mythische Gestalt, wie Old Shatterhand, wie Wildtöter, Hagen von Tronje oder Siegfried von Xanten.
August Roland Spieß von Braccioforte zu Portner und Höflein durfte ich persönlich nicht kennenlernen. Doch mehr als 50 Jahre nach meiner „literarischen Begegnung“ erfüllte sich mein einstiger Wunsch in abgewandelter Weise: Ich saß einem Menschen gegenüber, der ein fehlendes Bindeglied zwischen dem legendären Karpatenjäger und der Gegenwart darstellt – Dr. Helga Stein, seiner Enkelin, die sich, mit einem Lächeln, als Kreuzung zwischen Preußin und Österreicherin bezeichnet.

 


Der berühmte Ahne ist auch in ihrem Heim bei Hildesheim noch präsent: An der Wohnzimmerwand hängt ein lebensgroßes Bildnis der sagenhaften Persönlichkeit. Es zeigt einen kräftigen Mann mittleren Alters im Jagdanzug, die Büchse in der Hand, den Blick forschend in die Ferne gerichtet. Ein Mann, dem die Kühnheit ins Gesicht geschrieben steht, den Gefahren der Wildnis zu trotzen. Auf der Kommode ein anderes Bild, ein Foto. Der goldbetresste, mit Orden dekorierte Oberst v. Spieß, dem Form und Reglement den Lebenslauf bestimmen.
Zwei Seelen wohnten in seiner Brust: Die eine, die des Jägers, dem Enge und Zwänge zuwider sind, und die ihn treibt, Freiheit in vollen Zügen auszuleben. Und die andere, die des Offiziers, diszipliniert und kontrolliert, ein Vorbild für seine Soldaten. Und noch etwas dokumentiert die Anwesenheit von August v. Spieß: Die Enkelin trägt eine von ihrem Großvater geerbte goldene Brosche mit den Grandeln eines Karpatenhirsches. Wie durch einen Zauber erstand vor mir nicht nur die Persönlichkeit des passionierten Jägers, sondern auch die große Zeit der Karpatenjagd, als mutige Männer durch die Schluchten und Felsen des wilden Gebirges kletterten und mit unvorstellbaren Mühen und Anstrengungen dem Waidwerk nachgingen.

 


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Karpatenjagd 1932: Am selben Standort erst den Bären, kurz darauf den Hirsch gestreckt.

 

Voller Bewunderung spricht Helga Stein von ihrem Großvater und offenbart dabei eine besondere Seite des berühmten Jägers: sein Feingefühl und seine große Liebe zur Natur. „Er war ein hochinteressanter Mann mit ausgeprägter Jagdleidenschaft. Ich hatte als Kind das Glück, ihn von 1947 an bis zu seinem Tod zu erleben.“ Mein Blick fällt auf den Wohnzimmertisch mit dem Buch „Im Zauber der Karpaten“. Auf meinen fragenden Blick hin sagt die Enkelin: „Nein, es liegt nicht dort, weil Sie mich besuchen. Zur Zeit versuche ich, eine umfassende Bibliographie der zahlreichen Schrif ten meines Großvaters zusammenzustellen.
Bisher habe ich fast 300 Titel ausfindig gemacht“, erklärt sie. Und fährt fort: „Mit der Aufarbeitung seines schriftlichen Nachlasses möchte ich das Jagdmuseum ‚August von Spieß’ in Hermannstadt unterstützen. Es wurde 1966 in unserem Haus in der Schwimmschulgasse mit der Trophäen- und Waffensammlung meines Großvaters eingerichtet. Es ist Teil der Naturhistorischen Abteilung des Brukenthalmuseums. Vor zwei Jahren wurde es renoviert und die Ausstellung neugestaltet.“

 


Der „Bärenspieß“, wie ihr Großvater in Jägerkreisen genannt wurde, war ein Naturmensch mit umfassendem Wissen über das Verhalten des Wildes, dessen Lebensraum und den Wald als Lebensgemeinschaft. Was Ökologen erst in jüngerer Zeit über das Gleichgewicht in der Natur herausgefunden haben – er hat diese Kenntnisse schon vor hundert Jahren in sich getragen und besaß eine vorzügliche Beobachtungsgabe, wovon die zahlreichen Fotografien in seinen Publikationen zeugen. Der adlige Jäger war auch ein guter Pädagoge, der seine Kenntnisse überzeugend vermittelte. Das Naturhistorische Museum in Hermannstadt und andere naturwissenschaftliche Institutionen, Ornithologische Zentren und Tiergärten profitierten durch Belegmaterial und gefangene Jungtiere von seinen umfangreichen Exkursionen.
August v. Spieß wurde am 6. August 1864 geboren, in Przemisl/Galizien, das als Kronland zur Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gehörte. Wie in allen Offiziersfamilien des Vielvölkerstaates gehörte Mehrsprachigkeit zum Alltag.

 


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Das Grab des „Bärenspieß“ auf dem Hermannstädter Friedhof in Rumänien. FOTO: GERT G. V. HARLING
Väterlicherseits aus Unterfranken stammend, war es Deutsch, während seine Mutter als Bürgerin von Fiume das Italienische in die Kinderstube trug. Als Erwachsener sprach August v. Spieß fließend Französisch, Ungarisch, und das Rumänisch der siebenbürgischen Bergbewohner. Mit elf Jahren kam er auf die Militärschule St. Pölten, anschließend besuchte der junge Mann die Militärakademie in Wien. Angeregt von den begeisterten Erzählungen eines aus Siebenbürgen stammenden Kameraden ließ er sich 1885 in diesen Teil der Donau-Monarchie versetzen. 1893 wurde er Lehrer an der Hermannstädter Infanterie-Kadettenschule, die er ab 1911 bis zum Zusammenbruch Österreich-Ungarns leitete.
Für heute kaum verständliche Strapazen und Gefahren nahm er auf sich, um zu jagen. Nach dem Dienst, im knapp bemessenen Urlaub nächtliche Anreisen mit dem Bummelzug, Wagenfahrten auf holprigen Straßen, um an den Fuß der Berge zu gelangen. Dann rechtzeitig genug den stundenlangen Aufstieg in die Hochlagen zu unternehmen, um in das vorgesehene Revier zu kommen. Dann erst begann die eigentliche Jagd.

 


An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, als die Jagd in den Karpaten noch frei war, konnte er auf seinen Jagdzügen aus dem Vollen schöpfen und tat es auch. „Da hielt es mich natürlich auch nicht länger daheim. Das Raubtier im Menschen regte sich gewaltig. Es musste auf Beute gehen“, erzählt er in seinen „Hahnbalzerinnerungen 1906“. Wollte man aus seinen Jagdberichten die Schussgelegenheiten aus dem Kontext herausziehen, würde man ihm unrecht tun und in den Verruf eines Schießers bringen. Nicht die Anzahl des erlegten Wildes macht es bei ihm aus, sondern die Umstände, unter denen er zu Schuss kam. August v. Spieß fand in jeder Begegnung etwas Interessantes, aus dem er eine Lehre zog. Jeder Schuss wurde analysiert, jede Patrone und deren Wirkung.
Beim erlegten Wild galt seine besondere Aufmerksamkeit nicht nur der Trophäe, der Decke und dem Wildbret. Auch Magen- oder Panseninhalt, Verletzungen und Parasiten gaben ihm Aufschlüsse über die Lebensumstände des Wildes und Material, das er oft an Fachleute weiterleitete. Er akzeptierte nicht, dass angeschossenes Wild verloren ging. Die Nachsuche war oberstes Gebot, das absolut einzuhalten war. Am 1. Juli 1921 berief ihn König Ferdinand I. von Rumänien zum Hofjagddirektor.

 


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Im ehemaligen Haus der Familie v. Spieß in Hermannstadt (Sibiu) befindet sich heute das „Jagdmuseum August von Spieß“.
August v. Spieß betreute die Königlichen Jagdreviere. All sein Wissen und seine langjährige Erfahrung waren Grundlage für die Neuorganisation der königlichen Jagden und die umfassenden Monografien über die königlichen Leibgehege Retezat und Gurghiu. Er wurde Mitglied der Kommission für Naturschutz und Nationalparks, sowie Ehrenmitglied mehrerer nationaler und internationaler Jagdvereinigungen. Ihm lag besonders am Herzen, dem in den 1920er Jahren praktizierten unkontrollierten Einsatz von Strychnin gegen Raubwild Einhalt zu gebieten. Später wirkte er an der Entstehung des rumänischen Jagdgesetzes mit.
Der Hofjagddirektor war ein geselliger und fröhlicher Mensch, doch er mied das große gesellschaftliche Treiben des königlichen Hofes in der Hauptstadt. Gerne brachte er hohe Jagdgäste zu Schuss. Manch herzliche Freundschaft entstand dadurch. Sein Ruf als fairer Jäger, der Wert seiner Trophäen und sein schriftstellerisches Talent ließen ihn mit den damals bekanntesten Karpatenjägern, Jagdautoren und Jagdmalern in Kontakt kommen.

 


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Nach acht Nächten Ansitz erlegt – v. Spieß mit seinem dreizehnten Bären.

 

Zu seinen meistgelesenen Werken gehört das 1933 erschienene „Im Zauber der Karpathen“. Eine Erzählung darin schildert die Erlegung eines Bären, „unterschlägt“ aber die kurz darauf erfolgte des starken Hirsches. Komplett war der spannende Bericht „Herbst in den Siebenbürgischen Waldkarpathen“ schon 1932 in WILD UND HUND Nr. 50 zu lesen: „… in ruhigem Pass wechselt Meister Braun ahnungslos gerade auf mich zu. Ein schöner Anblick. Die schwarze Masse mit langen wackelnden Grannen am Widerrist. Der mächtige Schädel auf ungeschlachtem Vorschlag und breitspurigen Branten, ruhig den Waldboden nach Waldbeeren absuchend. Ein prächtiges Bild, das ich vielen Malern und Künstlern gegönnt hätte. Mein Korn sitzt ihm bereits mitten am Vorschlag, und schon durchschlägt ihn der Länge nach mein 8-Millimeter-Geschoss. Lautlos bricht er in sich zusammen, indes eine zweite Kugel ihm die Möglichkeit benimmt, wieder hochzuwerden.
Was nun machen? Allein in diesem Urwaldbestande hätte ich den daliegenden Braun sicher nicht mehr gefunden, wenn ich die Stelle verlassen hätte, ohne Zeichen in die Stämme zu schlagen. Letzteres aber verbot mir die Nähe der röhrenden Hirsche, so dass ich mich entschließen musste, mich auf meine Muschel verlassend, am gleichen Fleck zu verharren und beim Bären Totenwacht zu halten. Mein ab und zu erschallender Tritonsruf wird gut beantwortet, und als ob nichts vorgefallen wäre, grollte alsbald der fünffache Schrei der brunfttollen Hirsche durch den Tann. Der Reigen wurde immer lebhafter um mich her, und alsbald entdeckte ich zwei große dunkle Lichter unverwandt auf mich und auf den neben mir liegenden Bären gerichtet. Regungslos wie ein Baumstrunk stand ich, unentwegt von den zwei dunklen Lichtern fixiert, die unverwandt forschend auf mir ruhten. Wenn ich auch nicht das ganze Geweih sehen konnte, so sprach ich das Stück, nach der einen Stange, die frei war, für einen hochaufgesetzten Achter an.

 


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Die Trophäensammlung des Hofjagddirektors. FOTO: GERT G. V. HARLING
Zehn unendlich scheinende Minuten standen wir uns Aug in Aug gegenüber, als ein leises Knistern hinter mir mich unwillkürlich zu einer Wendung veranlasste und ich im gleichen Augenblick einem Zehnender in die Lichter sah, der ganz unhörbar auf kaum zwölf Gänge an mich herangewechselt war und den ich erst entdeckte, als eine seiner Stangen einen Dürrling gestreift hatte. Wir waren natürlich beide gleicherweise überrascht. Ein plötzliches Kehrt, und mein Hirsch war weg. Als ich mich zurückwendend, nach dem Achtender sah, war auch dieser, durch meine Bewegung erschreckt, im Stammgewirr verschwunden.
Rasch setzte ich den Ruf wieder an die Lippen und schrie, einen suchenden Hirsch vortäuschend. Ich hatte aber kaum abgesetzt, als ich Bewegung zwischen Latschen und Fichtenstämmen wahrnahm. Ein graues Etwas zog heran. Es konnte nicht einer der beiden vorgenannten Hirsche sein, denn diese waren noch in der rotschillernden Sommerdecke. Ein weitausgelegtes Geweih macht den Hirsch der Kugel wert, und als er etwa vierzig Gänge an mir vorbeiziehen will, durchschlägt die erste Kugel sein Blatt, indes die zweite in hoher Flucht den Träger durchbohrt, so dass die schwere Masse krachend und wie abgezirkelt zwischen zwei Jungfichten stürzt. Bewundernd ruht mein Auge auf dem gefällten Recken. Dem Wildbret und dem Geweih nach einer meiner besten Hirsche. Armdicke, weitausgeschwungene, tief gerillte, prächtig geperlte Stangen. Zwar nur ein Zehner, doch nachträglich gewogen von neun Kilogramm Gewicht, indes der Hirsch selbst wohl an 300 Kilogramm gewogen haben musste.“

 


Auf allen Jagdfahrten hatte er in den Bauernjägern treue und kenntnisreiche Wegbegleiter. Ihnen widmete er zum Abschied in seinen noch unveröffentlichten „Tagebuchblättern eines alten Jägers“ ein gesondertes Kapitel. Nicht selten kam es mit diesen Jägern auch zu heiteren Begebenheiten: Einmal war seine Frau mit auf der Gamsjagd. Weil die Jagd nur in einem schwierigen Gelände hätte fortgesetzt werden können, entschied sich v. Spieß seiner Frau zuliebe, abzu brechen und zur Hütte zurückzukehren. Der alte Bauernjäger quittierte diesen Entschluss mit den Worten: „Wenn du das nächste Mal mit mir auf die Jagd gehst, lass die Weiber zuhaus.“ Auch besondere Erlebnisse von Hirten und Bauern fanden Eingang in die Aufsätze und Monographien. Im Band „Die Wildkammern des Retezatmassivs“ ist die Geschichte von Petru Damaschin Lavu festgehalten, der im Dorf Saliste am Fuße des Zibinsgebirge lebte. Petru hatte im Jahre 1900 einen Bären angeschossen und war bei der schwierigen Nachsuche von diesem angefallen worden. Dabei verbiss sich der Bär im Todeskampf in den Doppellauf des Gewehres. Dieser malträtierte Lauf bekam einen Ehrenplatz in der Sammlung Spieß. „Das Buch selbst haben wir 2005 mit Unterstützung von Forstmeister Walter Frank ins Rumänische übersetzt und herausgegeben“, merkt die Enkelin, an.
1939 trat v. Spieß als Hofjagddirektor und Leibjäger des rumänischen Königs in den Ruhestand. Zum Abschied finanzierte der Regent dem 72-Jährigen eine Safari nach Tanganyika, wo v. Spieß unter anderem auf der Farm Momella mit Margarete Trappe jagte. Zwei Jahre später folgte eine weitere Reise. Der Bericht über diese Fahrten – nicht nur Jagderlebnis, sondern auch vergleichende Beobachtung insbesondere der Vogelwelt – erschien 1940 in rumänischer Sprache: „Din Ardeal in Kilimandjaro“ . Als 1947 das Königreich Rumänien eine Volksdemokratie wurde, blieb v. Spieß in seiner Wahlheimat. Der Respekt vor seiner Person war so groß, dass die damaligen Machthaber ihn nicht anrührten. „Colonel Spitz“, der 28 Bären erlegt hatte, war inzwischen zu einer Legende geworden. Einem Gerücht zufolge soll jemand gesagt haben: „Ein Mann, der mit dem Messer auf die Bären losgeht, den kann man doch nicht einsperren!“ Am 4. April 1953 verstarb er in Hermannstadt.

 


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Die Enkelin des Karpatenjägers, Dr. Helga Stein (Mitte), im Ausstellungsraum des Jagdmuseums in der Str. Scoala de inot 4 (ehemals Schwimmschulgasse). FOTO: GERT G. V. HARLING
Am Vormittag war ich zu diesem Gespräch gekommen, jetzt wurde es Abend. Ich nehme Abschied von der Enkelin des großen Karpatenjägers und der großen Zeit des Waidwerks, das wohl zu keiner anderen Epoche so gepflegt worden ist. Und ich bin froh, daß auch Jahrzehnte der Diktatur durch Kommunismus und Ceausescu die Erinnerung an August v. Spieß nicht auslöschen konnten.
In der WILD UND HUND 24/2014 lesen Sie in der Erlebten Jagd einen spannenden Keiler-Jagd-Beitrag von August von Spieß!

 

 


August von Spieß-Museum

Seit 2014 ist auch der Dachboden des August von Spieß-Museums in Sibiu/Hermannstadt (Rumänien) nach Voranmeldung und gegen eine kleine Gebühr zu besichtigen. Dort sehen Sie weitere Trophäen und Fallen des berühmten Karpatenjägers.

 

 

 

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